Automation der Schlüssel zu Hightech-Fertigung

Die Türkei wird ihre Exportziele für 2023 nur mit Produkten hoher Wertschöpfung erreichen. Das erfordert einen raschen Industrieumbau mit Fokus auf Hochtechnologie und Automation.

Jan-Feb 2016

Automation der Schlüssel zu Hightech-Fertigung

Der Welthandel wird bestimmt von Ländern wie Deutschland, den USA und Japan, deren Fertigungsindustrie sich durch extensiven Einsatz von Hochtechnologie auszeichnet; selbst China schließt sich diesem Trend an. Höhere Exportpreise lassen sich nur mit Produkten hoher Wertschöpfung erzielen. Die Türkei hat in den vergangenen 10 Jahre zwar bedeutende Fortschritte gemacht, ist jedoch immer noch weit davon entfernt, zur Hightech-Konkurrenz aus China oder Südkorea aufzuschließen. Mit dem Strategieplan 2013-2017 des Ministerium für Forschung, Industrie und Technologie versucht die türkische Regierung dagegenzuhalten.
Ihr erklärtes Ziel ist Zusammenarbeit aller interessierten Parteien und planmäßige Industrieförderung auf der Grundlage einer kohärenten Industriepolitik zum Aufbau einer Hightech-Industrie, mit der die Importabhängigkeit reduziert und die Fertigung von Produkten hoher Wertschöpfung ausgeweitet werden kann. Bereits im Industriestrategiedokument 2011-2014 aus dem Jahr 2010 („Unser Ziel: EU-Mitgliedschaft“) hatte das Ministerium die langfristige Vision eines „eurasischen Fertigungsstandortes für Mittel- und Hochtechnologieprodukte“ formuliert. Nicht weniger ehrgeizig sind die Pläne des Entwicklungsministeriums, das im 10. Entwicklungsplan (2014-2018) bis zum 100. Jahrestag der Gründung der Republik im Jahr 2023 ein BSP von 2 Billionen USD, ein Pro-Kopf-Einkommen von 25.000 USD und Exporte i.H.v. 500 Mrd. USD zum Ziel gesetzt hat.

Hightech in der türkischen Fertigungsindustrie
Zum erreichten Stand hat die Wirtschafts- und Sozialforschungsabteilung der Entwicklungsbank der Türkei eine Studie erstellt. Die Industrie des Landes wird dazu nach OECD Vorbild in vier Technologiekategorien eingeteilt: niedrig, niedrigmittel, mittel-hoch und hoch.

In die Klasse niedriger Technologie fallen die Möbel-,Lebensmittel-, Tabakwaren- und Getränke-, Textil-, Bekleidungs-,Leder-, Holzverarbeitungs-, Papier- und Druckindustrie und ihre Erzeugnisse. Zur nächst höheren Produktklasse gehören Kohle, raffinierte Erdölprodukte, chemische Produkte, Kunststoff- und Kautschukprodukte, nicht-metallische Mineralien und Metallerzeugnisse. Zu den mittel-hohen Technologieprodukten zählen Maschinen, elektrische Geräte, Autos und andere Motor betriebene Fahrzeuge. In der höchsten Technologieklasse finden sich laut dieser Studie nur Produkte wie Radios, Fernseher, Kommunikationsgeräte sowie medizinische, feinmechanische und optische Instrumente.

Nur 4% des Exports der Fertigungsindustrie ist Hightech
2014 exportierte die Türkei Waren im Wert von 157,6 Mrd.USD, davon Hightech-Produkte im Wert von 2,2 Mrd. USD. Für den gleichen Zeitraum gab die Weltbank die Hightech-Wertschöpfung für China mit 560,1 Mrd. USD, für Deutschland mit 193,1 Mrd. USD, für die USA mit 147,8 Mrd. USD und für Südkorea mit 130,5 Mrd.USD an.
Die Hightech-Exportentwicklung der Türkei über die Jahre sah wie folgt aus: 2006 (1,3 Mrd. USD), 2010 (1,7 Mrd. USD) und Ende 2014 (2,2 Mrd. USD). Auf die Gesamtausfuhren bezogen hat Hightech Made in Turkey einen Anteil von 4% .
Laut Angaben der Handelskammer Istanbul (ISO) gehören nur 12 der 500 größten Unternehmen des Landes zur Hightechklasse, 109 in den mittleren, 163 in den niedrigen und 186 in den niedrigsten Technologiebereich.
Der stellvertretende ISO-Präsident und Vorsitzende der AG Maschinenbau, Adnan Dalgakıran, fasste die Situation auf dem 10. Internationalen Automationskongress des Automationsverbandes ENOSAD mit den Worten zusammen: „Bei 75% unserer Fertigung setzen wir mittlere oder niedrige Technologie ein.
Nur 3% unserer Industrie nutzen Hochtechnologie… Während in Deutschland 6.000 Betriebe Erzeugnisse im Wert von über 400 Mrd. USD herstellen.
Mit einer Wirtschaft, die nichts von Automation versteht …werden wir nie so weit kommen.“ 
ENOSAD-Präsident Ömeroğlu: „Die Industrie ist für Technologie 4.0 bereit“
ENOSAD-Präsident Sedat Sami Ömeroğlu gab sich auf demAutomationskongress deutlich zuversichtlicher.
Die Türkei sei nicht nur für den nächsten Technologieschritt (4.0) bereit sondern könnte gleich zur Version 5.0 übergehen.
 
Industrie 4.0 – Das Internet der Maschinen
Was ist mit Industrie 4.0 eigentlich gemeint? Der Begriff stützt sich auf die Vorstellung, dass die Industrieentwicklung bis heute vier Phasen durchlaufen hat. Am Anfang stand die industrielle Revolution mit der Einführung der Dampfmaschine. Die zweite Phase begann mit der Erfindung und dem Einsatz elektrischer Maschinen und der Einführung der Serienfertigung. Die gegenwärtige Phase 3.0 zeichnet sich durch den Einsatz von Informationstechnologie und elektronische Fertigungssysteme aus. Der als 4.0 bezeichnet bisher letzte Entwicklungsschritt ist auch als das Internet der Maschinen bekannt. Sie ist charakterisiert durch intelligente Maschinen, die untereinander und mit den Menschen Daten austauschen und die insbesondere über
analytische Fertigkeiten verfügen, auf deren Grundlage sie eigene Entscheidungen treffen können.
Als weitere revolutionäre Entwicklung kommen dreidimensionale Drucker hinzu, mit denen sich individualisierte Produkte zu niedrigen Kosten herstellen lassen.
In Kombination mit IT wird damit die Serienfertigung überwunden und das Zeitalter der Prototypenfertigung zu Serienkosten eingeläutet.Verbandspräsident Ömeroğlu ging noch einen Schritt weiter und stellt eine Industrievision
vor, in der Maschinen durch Gedanken gesteuert werden. In einer solchen Welt sei aber kein Platz mehr für den traditionellen Industriearbeiter, an ihre Stelle würden hochqualifizierte Fertigungsingenieure treten.
Die Zukunft gehöre mehrachsigen Hybridmaschinen, die mit Sensoren ausgestattet sind, sehen, hören und auf physischen Kontakt reagieren, die miteinander kommunizieren und schneller reagieren und entscheiden
als jeder Mensch und die gleichwohl von einem einzigen Menschen überwacht und gesteuert werden können.
Die Technologie dazu wird bereits vorgestellt, z.B. auf der Hannover Messe, der weltgrößten Industriemesse.
Dazu gehören Systeme, die von der Natur inspiriert sind, wie auch solche, die über Gehirnwellen gesteuert werden. Diese neuen Technologien sind symbolisiert im Datenhandschuh, der Eingriffe in Prozesse ohne direkten Kontakt
ermöglich, die Kraftübertragung von der physischen Kraft der Arbeiter entkoppelt und zugleich wesentlich zur Arbeitssicherheit beiträgt. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie Teil unseres täglichen (Arbeits-)Lebens werden.
 
Neue Initiativen zur technischen Ausbildung
Automation bringt viele Vorteile: höhere Fertigungsqualität, höhere Produktivität und verbesserten Arbeitsschutz. Der Preis der Umstellung sind höhere Wissensanforderungen an die Arbeitnehmer ob Ingenieure, Techniker oder Facharbeiter. Hierzu ist eine berufliche Bildung in enger Zusammenarbeit von Schule-Universität und Betrieb erforderlich, die nicht weniger als revolutionär ist. Eine Stiftung, die sich diesem Thema widmet, ist TEGEV,
zu deren Gründern namhafte ausländische Unternehmen mit Fertigungsstandorten in der Türkei gehören.
Die Stiftung zur Förderung der technologischen Ausbildung wurde 1995 gegründet und setzt sich für ein duales Bildungssystem nach deutschem Vorbild ein.
Vorreiter waren deutsche Firmen wie Bosch, Siemens, Festo und BSH, denen sich später türkische Unternehmer anschlossen.
TEGEV bemüht sich um die Einführung von Berufsstandards, fördert die Zusammenarbeit von Schule und Betrieb, setzt sich für die Modernisierung der Ausbildung von Berufsschullehrern ein, hat Kompetenzprüfungen und Zertifizierungen eingeführt, unterstützt Innovation und Strategieentwicklungen und arbeitet an der Gründung in der Türkei einer Hochschule für angewandte Wissenschaften nach deutschem Modell.
Die Türkei ist sich der Notwendigkeit einer Hightech-Automation ihrer Fertigungsindustrie ebenso bewusst wie der Notwendigkeit, Arbeitskräfte heranbilden zu müssen, die diese System auch anwenden können.
Jetzt muss dieses Wissen nur noch möglichst rasch in die Tat umgesetzt werden.
(Bericht Abbas Özpinar; Übersetzung: Dr. Uwe Fiedeldei)