Türkei – Chemie- und chemische Industrie

Die chemische Industrie der Türkei besitzt ein erhebliches Wachstumspotenzial, zumal die laufende Expansion der industriellen Kapazitäten für eine steigende Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen sorgt. Der noch relativ geringe Pro- Kopf-Verbrauch an chemischen Produkten lässt zunehmenden Absatz erwarten.

Türkei – Chemie- und chemische Industrie

Die Regierung fördert den Ausbau lokaler Produktionswerke, um die hohe Importabhängigkeit der Industrie bei petrochemischen Grundstoffen zu verringern. Im Petrochemie-Bereich werden bedeutende Großprojekte durchgeführt.

Marktentwicklung/-bedarf

Der türkische Chemiemarkt mit einem geschätzten Inlandsumsatz von rund 130 Mrd. TL besitzt wegen des noch vergleichsweise geringen Konsumniveaus ein hohes Wachstumspotenzial. Nach einem Marktwachstum von knapp 4% erwartet die Branche für 2015 einen Umsatzanstieg von circa 5%. Die hohe Importabhängigkeit bei petrochemischen Grundstoffen bleibt das größte Problem der chemischen Industrie des Landes. Dies gilt auch für pharmazeutische Wirkstoffe im Arzneimittelbereich.

Als wichtiges Aufbauvorhaben der chemischen Industrie in der Türkei ist das "Chemport-Projekt" hervorzuheben. Dabei geht es um die Einrichtung einer Sonderzone für die chemische Industrie mit einem angeschlossenen Hafen und entsprechender Infrastruktur am Marmara-Meer im Gebiet von Bandirma-Biga. Der Verband der chemischen Industrie TKSD (Türkiye Kimya Sanayicileri Derneği) veranschlagt die Kosten für der Aufbau der Sonderzone auf 5 Mrd. Euro. Zur Verwirklichung des Projektes gründeten 24 Investoren einen neuen Chemport-Chemieverband ("Chemport Kimya Sanayicileri Hizmetleri Derneği").

In der geplanten Zone sollen vor allem chemische Halbwaren mit hoher Wertschöpfung produziert werden, die bisher importiert werden müssen. Mit dem Projekt soll das auf den Chemiesektor zurückzuführende Defizit in der Handelsbilanz, das derzeit auf rund 90 Mrd. USD veranschlagt wird, auf 45 Mrd. USD halbiert werden können. Zum Aufbau der Sonderzone mit angeschlossenem Hafen müssen umfangreiche Infrastrukturarbeiten durchgeführt werden. Nach der von A. T. Kearney erstellten Feasibility Study müssen in die Infrastruktur 3 Mrd. Euro investiert werden.

Wegen der steigenden Nachfrage nach Kunststoffen in der Kfz-Industrie, Elektroindustrie, Verpackungsindustrie und anderen Bereichen kommt der Produktion von Industriechemikalien große Bedeutung zu. Die hohe Importabhängigkeit bei petrochemischen Grundstoffen, die bei der Kunststofferzeugung benötigt werden, muss nachhaltig abgebaut werden. Dabei kommt dem Petrochemie-Konzern Petkim (Petrokimya Sanayi A. S.; www.petkim. com.tr) eine besondere Rolle zu. Der Konzern, das mit Abstand umsatzstärkste Unternehmen der türkischen Chemiebranche (2013: 4,2 Mrd. TL) und einziger Hersteller von petrochemischen Grundstoffen in der Türkei, führt mehrere Projekte zur Steigerung der Produktion und Produktivität durch.

So entstehen auf der Aliağa-Halbinsel bei Izmir mit Investitionen von rund 10 Mrd. USD die STAR-Erdölraffinerie ("Socar Turkey Aegean Refinery") und mehrere petrochemische Großanlagen samt Infrastruktureinrichtungen (Hafen, Kraftwerk etc.), die bis 2018/19 fertiggestellt werden sollen. In die Raffinerie (5,6 Mrd. USD), in der jährlich 10 Mio. t Rohöl verarbeitet werden sollen, wurden bis Ende 2014 circa 1 Mrd. USD investiert. Für das Projekt stellen 23 Banken Kredite von insgesamt 3,3 Mrd. USD bereit.

Die Hersteller von Farben und Lacken profitieren vom regierungsseitig vorangetriebenen städtischen Transformationsprogramm ("Urban Transformation Program") zur Erneuerung bestehender Wohnungen. Das Programm mit einer Laufzeit von 20 Jahren und veranschlagten Investitionen von insgesamt 400 Mrd. USD sieht den Abriss und Neubau von 6,5 Mio. alten und riskanten Wohnungen sowie öffentlichen Gebäuden vor. Trotz des Anstiegs in den letzten Jahren liegt der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch an Farben und Lacken mit 11 kg (davon 6,5 kg dekorative Farben und 4,5 kg Industriefarben) im Vergleich zu westlichen Ländern noch niedrig. Von den insgesamt 600 Produktions- und Vertriebsfirmen verfügen nur etwa 20 Unternehmen, wie Betek, DYO Boya und Marshall Boya, über moderne Technologien und erreichen hohe Produktqualität. Etwa 60% der Farbenproduktion sind für die Bauindustrie bestimmt, darunter wiederum 75 bis 80% für die Renovierung bestehender Gebäude.

Zum Ausbau der Produktion und zur Erhöhung der Produktvielfalt sowie zur Erhöhung der Qualität investieren die größeren Farbenhersteller in neue Technologien und bringen neue Produkte auf den Markt. Damit soll auch das gesetzte Ziel, die Exporte von Farben, Farbmitteln und Pigmenten von 0,5 Mrd. USD im Jahr 2010 bis 2023 auf 2,5 Mrd. USD zu erhöhen, erreicht werden.

Wegen der relativ geringen Kaufkraft der Landwirte entwickelt sich der Verbrauch von chemischen Düngern mäßig. Der jährliche Pro- Hektar-Konsum liegt unter 100 kg. Etwa 40% des jährlichen Bedarfs an chemischen Düngemitteln von rund 5,6 Mio. t müssen durch Importe gedeckt werden. Die sieben inländischen Produzenten bringen es auf eine Jahreskapazität von 5,7 Mio. t. Bei Rohmaterialien besteht eine hohe Importabhängigkeit. Als herausragende Investition ist ein staatlich subventioniertes Projekt des Unternehmens Eti Bakir (Cengiz-Holding) hervorzuheben. Letzteres errichtet mit Investitionen von 370 Mio. Euro in der südostanatolischen Provinz Mardin eine Phosphatanlage.

Die pharmazeutische Industrie mit einem geschätzten Umsatz von 9,5 Mrd. USD (2014) besitzt gute Wachstumschancen. Den Pro-Kopf-Verbrauch an Medikamenten beziffert das Gesundheitsministerium für 2013 (2012) mit 105,20 (106,10) USD. Die Investitionen in die Forschung und Entwicklung sind noch gering. Sie belaufen sich jährlich auf nur schätzungsweise 60 Mio. USD. Die Importabhängigkeit bei pharmazeutischen Wirkstoffen ist groß. Marktführer im Pharmasektor ist Abdi Ibrahim (8%), gefolgt von Novartis und Bilim Ilaç. Nach Angaben des Ministeriums für Wissenschaft, Industrie und Technologie werden in der Türkei rund 3.100 pharmazeutische Präparate hergestellt. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Dosierungen für ein und dasselbe Medikament erreicht die Zahl gar 8.000. Knapp 40% der lokalen Produktion bestehen aus Generika. Die Herstellung konzentriert sich auf die Marmara-Region, vor allem auf die Provinzen Istanbul, Kocaeli und Tekirdağ.

Der Markt für Kosmetika mit einem geschätzten Jahresumsatz von 3,3 Mrd. USD wächst um circa 10% pro Jahr. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums werden landesweit 170.000 kosmetische Erzeugnisse vermarktet, davon 46.000 aus lokaler Produktion. In den insgesamt registrierten 3.250 Kosmetikfirmen werden 14.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Den lokalen Produktionswert vom Schönheits- und Körperpflegemitteln schätzt das Ministerium auf umgerechnet 1,5 Mrd. Euro (2013).
(Necip C. Bağoğlu - Germany Trade & Invest, Istanbul)